
Interview zur Situation an den Schulen: „Es ist ein ganz befremdliches Bild“

Wie liefen die Schulschliessungen aus Sicht von Lehrerinnen und Lehrern ab? Was bedeuten die Abstands-und Hygienemassnahmen für den Schulalltag? Und wie klappt der Fernunterricht in der Homeschoolingzeit?
Um diese und weitere Fragen zu klären, hat sich Christoph für Betzold TV zu einem Gespräch mit Lena verabredet.
Lena ist Grundschullehrerin aus Stuttgart, wo sie eine „fröhliche, herzliche und manchmal etwas wilde“ zweite Klasse unterrichtet.
Vielen ist Lena bestimmt durch ihre Instagram-Seite bekannt, wo sie über 17 000 Follower hat und ihren Blog Colorful Classroom. Dort teilt sie ihre Erfahrungen, Unterrichtsideen und auch Material mit ihren Lesern.
Die Schulschliessungen kamen ja doch sehr plötzlich. Wie hast du die Schüler informiert? Und haben die Schüler verstanden, dass sie nun nicht mehr in die Schule dürfen?
Genau, das kam sehr plötzlich. In Baden-Württemberg hatten wir den Montag noch Zeit, um die Kinder zu verabschieden. Aber dennoch war alles ein bisschen ungewiss. Man wusste nicht genau, wie laufen die Schulschliessungen ab und was erwartet man von uns als Lehrern, wenn die Schulen geschlossen sind.
Das Gute war, dass wir eines der letzten Bundesländer waren, das die Schulen geschlossen hat. So hatte man von Kollegen und Freunden schon ein paar Infos und wir hatten uns deshalb schon ein bisschen vorbereitet. Es waren z.B. schon Notfallwochenpläne ausgeteilt worden.
Auch das Thema Corona war bei den Schülern schon sehr präsent. Sie haben viel aus den Nachrichten und zu Hause mitbekommen und hatten auch Ängste. In unserer KLAG, unserer Klassen-AG, hatten wir Corona auch oft als Thema. So war es für die Kinder doch recht verständlich, warum wir nicht mehr in die Schule kommen konnten.
Das komplette Video des Interviews mit Christoph und Lena gibt es auf Betzold TV:
Das heisst, ihr wart relativ gut vorbereitet. Habt ihr zu dem Zeitpunkt schon einen Plan B gehabt, wie Schule weitergehen kann, wenn die Schüler nicht mehr vor Ort sind?
Den hatten wir nicht wirklich. Du hast ja schon gesagt, wir waren relativ gut vorbereitet. Ich glaube, diese Vorbereitung hat jeder Lehrer für sich beschlossen und versucht, sich auf diese ungewisse Situation irgendwie vorzubereiten.
Für mich war die Schulschliessung in verschiedene Abschnitte geteilt:
Wir hatten erstmal die Zeit bis zu den Osterferien, als wir noch geglaubt haben, nach den Ferien können wir wieder zurück. Das war mehr eine Zeit des Überbrückens. Es gab Wochenpläne für drei Wochen, wir haben E-Mails an Eltern geschrieben, die wir so erreichen konnten, ab und zu haben wir angerufen. Damals war der Kontakt noch nicht ganz so eng.
Nach Ostern war klar, dass wir nicht wissen, wann wir wieder an die Schule zurückkönnen und wir irgendwie weitermachen müssen. Die Osterferien habe ich gemeinsam mit der Schulleitung damit verbracht, eine Kommunikationsplattform zu finden, über die wir mit den Kindern Unterricht machen können. Und dann ging es ans Erklärvideos erstellen und es gab Videokonferenzen mit den Kindern. Inzwischen haben wir unsere Routine gefunden.
Haben die Videokonferenzen mit den Kindern gut geklappt?
Das ist ganz unterschiedlich. In meiner Klasse habe ich grosses Glück. Ich habe 20 Schüler, vier davon sind in der Notbetreuung und die anderen 16 sehe ich mindestens einmal pro Woche bei der Videokonferenz. Das ist aber nicht bei allen Klassen so. Weil wir natürlich auch Kinder ohne Endgeräte haben, sind wir gerade dabei, die iPads, die wir an der Schule haben, an Kinder rauszugeben, damit wir wirklich alle erreichen.
Ich glaube, es sind nicht nur in meinem Kollegium viele Lehrer über sich hinausgewachsen, um auch die Kinder ohne Endgeräte zu erreichen: Es fand Unterricht an der Türschwelle, am Telefon und bei Spaziergängen statt. Da war ich oft sehr berührt, wenn meine Kollegen das erzählt haben.
War das Verständnis der Eltern für die Situation vorhanden und haben sie mitgemacht oder gab es auch Widerstand?
Ich glaube, es haben alle Eltern so gut sie konnten mitgemacht. Wenn ich mir vorstelle, wie es ist mit drei Kindern, kleiner Wohnung, Homeoffice, die Angst vor Kurzarbeit, teilweise vor Arbeitslosigkeit – da hat jeder das getan, was er konnte. Der eine natürlich mehr, weil die Voraussetzungen besser waren, und der andere etwas weniger.
Am 18. Mai geht es an Primarschulen zumindest für Viertklässler auch in Baden-Württemberg wieder los. Natürlich unter strengen Hygieneauflagen. Vielleicht kannst du erzählen, was ihr an eurer Schule alles organisieren musstet, damit diese ganzen Regeln eingehalten werden können.
Im ganzen Schulhaus sind jetzt mit Absperrband und gelbe Klebepfeile zu sehen. Die Flure und die Treppen sind geteilt, so dass klar deutlich ist, auf welcher Seite laufe ich hoch, auf welcher Seite laufe ich runter. An jeder Tür hängt ein grosses Schild „Stopp, erst Händewaschen!“. Wir haben die Tische auseinandergeschoben und die Hälfte der Tische vor die Klassen gestellt, weil wir in den Klassen nur 10 bis 11 Kinder haben dürfen und dazu genug Abstand brauchen. Es sind vor den Toiletten „Bitte Abstand halten“-Markierungen mit 1,5 Metern, auf die die Kinder sich stellen. Es gibt Klokarten, damit klar ist, dass nur eine Person in der Toilette ist. Der Rest muss draussen warten.
Es ist ein ganz befremdliches Bild, weil wirklich jeder Weg, der nicht gebraucht wird, mehrfach abgesperrt ist, man darf sich nirgends hinsetzen. Es ist ein bisschen wie im Schulmuseum, wo auf den alten Bänken steht „Bitte nicht setzen!“. So ist es jetzt leider im echten Schulhaus auch.
Gibt es auch den Plan, dass die Schulanfangszeiten gestaffelt sind, damit nicht alle auf einmal kommen?
Genau. Wir unterrichten in vier Schichten. Es gibt eine erste Schicht, die sich auf dem Schulhof trifft, d.h. es sind nie mehr als 20 Kinder auf dem Schulhof und diese 20 Kinder haben nochmal zwei Eingänge. Wir haben vor der Schule die Zahlen eins bis zehn jeweils mit dem nötigen Abstand markiert. Jedes Kind hat seine Zahl und stellt sich darauf, wird dann vom Lehrer abgeholt und die eine Gruppe geht rechts rein, die andere links.
Eine viertel Stunde später kommt dann die zweite Gruppe, die dann wieder genauso ins Schulhaus geht. Dann ist eine halbe Stunde Zeit zum Lüften und Desinfizieren. Und nach zweieinviertel Stunden kommen die nächsten Schüler und wir machen das Ganze nochmal mit den anderen Kindern.
Das ist ja doch ein recht grosser logistischer Aufwand! Glaubst du, dass das so aufrechterhalten werden kann, wenn dann mehr Schüler als nur die Viertklässler da sind?
Ich glaube, das kommt stark auf die Schulgrösse an. Wir sind da sehr verwöhnt, weil wir ein riesiges Schulhaus haben und dafür eher wenige Klassen. Aber je mehr Kinder an einer Schule sind und je kleiner das Schulhaus ist, wird das sicher wahnsinnig kompliziert. Aber wie bei allem: Ich glaube der Mensch ist ein Gewohnheitstier und wenn wir das mal drin haben, klappt das auch länger als drei Wochen so.
Wie war denn die generelle Informationslage? Gab es in Bezug auf die Hygienemassnahmen einen Massnahmenkatalog vom Kultusministerium, in dem genau drinstand, was getan werden muss? Oder waren das die allgemeinen Hinweise mit Abstand halten und Hände waschen und jede Schule muss irgendwie selber schauen, wie sie das umsetzt?
Schwierige Frage. Es kam vom Kultusministerium total viel und total wenig gleichzeitig. Es gab viele E-Mails und Briefe, in denen auch immer wieder gesagt wurde, man muss den Abstand und die Hygienemassnahmen einhalten, aber nichts ganz Konkretes. Ich denke, das ist im Lehrerberuf oft so. Es hat den Vorteil, dass es uns einen grossen Handlungsspielraum gibt, so frei in der Gestaltung unserer Schule zu sein. Jetzt in der Krise war es bestimmt nicht immer ganz einfach, nicht zu wissen, wie es genau gemacht werden soll. Andererseits sind auch alle Schulhäuser, alle Voraussetzungen, so unterschiedlich, dass man das wahrscheinlich gar nicht anders machen kann. Ich denke, sie haben ihr Bestmögliches getan. Zum Glück habe ich ein Schulleitungsteam, das alles gut umsetzen konnte und ich hoffe, das haben alle anderen Schulen auch.
Wird überprüft, ob die Massnahmen der Schulen ausreichen?
Soweit ich weiss, kommt bei uns das Schulamt und schaut sich alles an. Wir sind selbst sehr oft durch das Schulhaus gelaufen und uns ist immer wieder etwas aufgefallen. Vielleicht ist es auch gut, wenn nochmal jemand kommt, der es zum ersten Mal sieht. Wir wollen die Schule natürlich so sicher wie möglich für unsere Schüler machen!
Ich möchte nochmal zurück zum Homeschooling kommen. Wie ist dein Fazit? Seid ihr an eurer Schule jetzt an dem Punkt, wo ihr sagt, das hat sich jetzt so gut eingependelt, das könnte jetzt noch länger so weitergehen? Oder machst du drei Kreuze, wenn wieder Normalität einkehrt?
Also, ich mache definitiv drei Kreuze, wenn das alles vorbei ist! Ich finde, Schule ist einfach viel mehr als Wissensvermittlung. Natürlich kann ich die Kinder vor den Computer setzen, ihnen den Stoff erklären und sie verstehen es mehr oder weniger. Aber ich glaube, dass das soziale Lernen und das Lernen in der Gruppe definitiv die Punkte sind, die Freude am Lernen verbreiten! Sobald der Fernunterricht vorbei ist, schreien wir wahrscheinlich alle „Juhu!“. Die Kinder haben sich jetzt, selbst unter diesen strengen Regeln, schon wahnsinnig gefreut wieder an die Schule zu dürfen. Und gemeinsam zu lernen wird jede Videokonferenz, egal wie toll meine Zweitklässler das machen, nicht ersetzen können.
Zum Abschluss möchte ich noch einen Blick in die Zukunft werfen. Es wird ja oft bemängelt, dass Deutschland zu wenig für Bildung ausgibt. Nun drohen den Kommunen durch die Corona-Krise auch steuerliche Einbussen, wovon auch der Bildungssektor direkt betroffen sein könnte. Glaubst du, dass Schulen in nächster Zeit mehr für Gelder kämpfen müssen als bisher? Ist das bei euch im Kollegium schon Thema?
Bis jetzt war das noch kein Thema. Die Stadt Stuttgart macht wirklich viel, um uns in der Krise zu unterstützen, auch in Form von Geldern. Ich denke, das bleibt sehr spannend und die Konsequenzen werden wir sicher auch an den Schulen spüren. Aber wenn ich eines über meine Kollegen sagen kann: Wir sind super im Improvisieren. Das heisst egal wie es kommt, wir wuppen das bestimmt irgendwie! Auch wenn es nicht einfach wird.
Wir werden sehen, was sie Zukunft bringt. In den letzten Wochen haben wir ja gelernt, grosse Pläne kann man zurzeit nicht machen. Liebe Lena, ich bedanke mich, wünsche dir und deinen Kollegen alles Gute für die Zukunft und bleibt gesund!
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